Grundsätzliche Überlegungen
1. Investieren als Entwicklung
Es gibt Musterdepots, die quasi am Reißbrett entworfen werden und im Idealfall bereits eine perfekt auf den jeweiligen Nutzer zugeschnittene Vermögensverteilung enthalten. Wer bereits ein Vermögen auf der Bank hat, kann das Ganze einfach nachbauen. In der Folgezeit geht es dann ums Beobachten und wahrscheinlich hie und da um etwas Rebalancing. Abgesehen davon dienen solche Depots natürlich der Veranschaulichung von Strategien und nicht zuletzt der Inspiration.
Für das Investieren in Einzelaktien haben die Musterdepots aber oft wenig praktischen Wert. Die meisten von uns kommen nicht mit einem Vermögen auf die Welt. Ich zum Beispiel – und das wird den meisten so gehen – muss das investierte Kapital erstmal verdienen. Die Einzahlungen verteilen sich dabei über einen langen Zeithorizont – perspektivisch können es viele Jahrzehnte werden. Das wiederum hat erheblichen Einfluss auf die aktuelle Vermögensverteilung einerseits (zwischen einzelnen Käufen liegen oft mehrere Jahre), auf die Kaufentscheidungen andererseits (die hängen nämlich auch von einer Verteilung ab, die ich erst für eine entfernte Zukunft anstrebe).
Mein Depot ist also nicht als Zielzustand zu verstehen, sondern eher als Momentaufnahme auf einem langen Weg.
2. Quoten als Leitlinien
Ich glaube, dass es zu den schwersten Fehlern bei der Geldanlage gehört, alles auf eine Karte zu setzen – ob es sich bei der Karte um ein einzelnes Unternehmen, eine einzelne Branche oder auch eine einzelne Immobilie handelt. Schließlich sind mit jedem Investment Risiken verbunden. Manche davon sind unberechenbar. So könnten die Umsätze eines Unternehmens vielleicht gar nicht vorhanden sein (siehe Wirecard), eine ganze Branche könnte unvermittelt in eine schwere Krise geraten (wie die Reisebranche während der Pandemie). Selbst die Traumimmobilie könnte zum finanziellen Alptraum werden, wenn man in der Gegend zum Beispiel irgendwelche Umweltgifte findet.
Kurz: Es gibt neben den offensichtlichen Risiken immer auch solche, die selbst das schärfste Auge übersieht. Je weniger Diversifizierung bei Vermögenswerten, desto mehr hat die Geldanlage meiner Meinung nach mit einem Glücksspiel zu tun. Mit der Diversifizierung steigt wiederum der Wert systematisch guter Anlageentscheidungen. Bei der Diversifizierung hilft mir die Aufteilung meines Portfolios entlang verschiedener Kategorien. Für die einzelne Anlageentscheidung spielt damit einerseits die aktuelle Vermögensverteilung, andererseits die beabsichtigte Vermögensverteilung eine Rolle – genauer gesagt, der Unterschied zwischen den beiden.
Meine Depotgewichtung
nach Wirtschaftsbereich
Anstatt von Branchen spreche ich lieber von Bereichen. Es geht mir hier weniger darum, wie genau ein Unternehmen sein Geld verdient. Vielmehr achte ich darauf, mit welchen allgemein gesellschaftlichen Trends und Entwicklungen das Unternehmen verbunden ist. Ein Beispiel: Im Bereich Mobilität setze ich auf einen zunehmenden Bedarf an Mobilität, verbunden mit einer Revolution der Mobilitätsformen. Ob ein Unternehmen damit verbundene Software entwickelt, entsprechende Dienstleistungen anbietet oder Fahrzeuge herstellt, ist mir hier erstmal egal.
Die gewünschte Diversifizierung entsteht:
- durch die gezielte Aufteilung des Vermögens auf unterschiedliche Bereiche
- durch die Auswahl möglichst unterschiedlicher Unternehmen innerhalb jedes Bereichs
Grundsätzlich plane ich mit zwei bis vier Unternehmen für jeden der vorab definierten Bereiche. Da ich in zunehmend mehr Bereichen bereits vertreten bin, wird dieser Gesichtspunkt bei künftigen Anlageentscheidungen eine immer wichtigere Rolle spielen.

nach Art des Unternehmens
Zusätzlich unterscheide ich nach drei Arten von Unternehmen, die von der Reife des Geschäftsmodells abhängen.
Typ 1: Wert
Worum geht es?
Diese Unternehmen sollen für Stabilität im Depot sorgen. Eine Anlageentscheidung in diesem Bereich werde ich im Idealfall bis zur Rente nicht mehr hinterfragen. Deswegen entscheide ich mich für Unternehmen, denen ich eine marktführende Stellung in einer zukunftssicheren Branche unterstelle. Zur Sicherheit der Geldanlage trägt unter anderem bei, dass die Umsätze möglichst ausgewogen in allen Weltregionen erwirtschaftet werden. Eine kontinuierlich steigende Gewinnausschüttung betrachte ich ebenfalls als Anzeichen von Krisenfestigkeit. Da sich Unternehmen dieses Typs – verhältnismäßig – stabil und vorhersehbar entwickeln, spielt auch die Bewertung eine größere Rolle bei der Kaufentscheidung.
Worauf achte ich bei der Auswahl?
- globale Umsatzverteilung
- Gewinnwachstum
- Dividendenkontinuität
- Wachstum des Marktes
Wann überprüfe ich das Investment?
- in Ausnahmesituation
- bei (recht wahrscheinlichen) Nachkäufen
Welchen Depot-Anteil will ich erreichen?
- ca. 40 %
Wann verkaufe ich die Aktien?
- idealerweise nie
Typ 2: Wachstum
Worum geht es?
Unternehmen in diesem Bereich sollen mit steigenden Kursen für einen wachsenden Depotwert sorgen. Ich suche daher Firmen mit starkem und andauerndem Gewinnwachstum. Anders als bei den zuvor genannten Unternehmen werden die Gewinne nicht unbedingt ausgeschüttet, sondern lieber reinvestiert. Entsprechend ist auch die Erwartungshaltung eine andere. Das jährliche Gewinnwachstum sollte langfristig im zweistelligen Bereich liegen. Da sich die Bewertung solcher Unternehmen sehr schnell relativieren kann, spielt sie bei der Kaufentscheidung eine geringere Rolle. Entscheidend ist vor allem, dass das Wachstum beibehalten – oder sogar noch beschleunigt – werden kann. Hinweise darauf liefern mir unter anderem die Marktposition, das vergangene Umsatz- und Gewinnwachstum, der Verschuldungsgrad, Erfolge im Bereich F&E sowie natürlich auch die allgemeinen Aussichten der Branche.
Worauf achte ich bei der Auswahl?
- Wachstum von Umsatz und Cashflows
- Wachstum des Marktes
- Verschuldungsgrad
Wann überprüfe ich das Investment?
- alle drei bis fünf Jahre
- bei besonderen Entwicklungen (Pandemie, internationale Konflikte o. Ä.)
Welchen Depot-Anteil will ich erreichen?
- ca. 40 %
Wann verkaufe ich die Aktien?
- bei grundlegenden Zweifeln am Investment Case
Typ 3: Wagnis
Worum geht es?
Bei Investitionen in diesem Bereich geht es mir um den Spaßfaktor. Ich möchte die Entwicklung eines Unternehmers aktiv mitverfolgen und über die Kursentwicklung am Erfolg oder Misserfolg teilhaben. Damit solche Investments auch tatsächlich Spaß machen, bedarf es ebenfalls bestimmter Voraussetzungen. Von Unternehmen in dieser Kategorie erwarte ich ein disruptives Geschäftsmodell, konkret eines, das spürbare gesellschaftliche Veränderungen bewirken kann. Damit ein Unternehmen überhaupt in einer solche Lage geraten kann, muss der adressierbare Markt möglichst groß sein. Außerdem hat das Unternehmen anhand der Geschäftsentwicklung bereits bewiesen, dass es in diesen großen Markt hineinwachsen kann. Das jährliche Umsatzwachstum liegt dafür idealerweise im hohen zwei- bis dreistelligen Prozentbereich.
Worauf achte ich bei der Auswahl?
- Umsatzwachstum
- potenzielle Größe des Marktes
- Bruttomarge
Wann überprüfe ich das Investment?
- kontinuierlich
Welchen Depot-Anteil will ich erreichen?
- ca. 20 %
Wann verkaufe ich die Aktien?
- bei grundlegenden Zweifeln am Investment Case
- nach einer Vervielfachung des Kurses (Teilverkäufe)
Unternehmensgröße
Im allgemeinen bevorzuge ich größere Unternehmen. Diese bieten oftmals eine ganze Reihe von Vorteilen:
- mehr & höherwertige mediale Berichterstattung
- bessere IR – mehr Transparenz
- bessere Marktstellung und Skalenvorteile
- diversifiziertere Geschäftsmodelle und tiefere Wertschöpfungsketten
Natürlich haben auch kleinere Unternehmen ihre spezifischen Vorteile. Größe ist sicher nicht alles. Im Zweifelsfall könnte sie aber durchaus den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben.
Region
In welchem Land ein Unternehmen sitzt, spielt eigentlich nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Viel interessanter finde ich, wo die Umsätze erwirtschaftet werden. Gerade bei Unternehmen, die in die Kategorie Wert fallen, bevorzuge ich solche, die möglichst global aufgestellt sind. Bei einem stark wachsenden Unternehmen kann eine regional einseitige Umsatzverteilung aber auch auf große Potenziale für die Zukunft hindeuten. Schließlich kann der Weltmarkt noch erschlossen werden.
Ethische Überlegungen
Grundsätzlich denke ich, dass meine Entscheidung für die eine oder andere Aktie kaum Auswirkungen auf die Gesellschaft oder die Umwelt hat. Schließlich handle ich die Papiere in der Regel nicht mit dem Unternehmen selbst, sondern mit anderen Marktteilnehmern. Deutlich folgenreicher dürften zum Beispiel meine Konsumentscheidungen oder auch meine politischen Entscheidungen (bei Wahlen oder durch ehrenamtliches Engagement) sein.
Trotzdem sind mir ethische Überlegungen bei der Aktienauswahl wichtig. So habe ich verschiedene Ausschlusskriterien für mein Depot definiert (z. B. fossile Energieerzeugung oder unverantwortliche Corporate Governance). Bei anderen Bereichen würde ich mich zumindest so unwohl fühlen (z. B. Textilbranche, Fleischindustrie), dass das Unternehmen eine herausragend positive Eigenschaft haben müsste, damit ich über ein Investment überhaupt nachdenke.
Der Grund dafür: Mit einer Unternehmensbeteiligung hoffe ich auf den Erfolg des Unternehmens. Wenn das Geschäftsmodell moralisch nicht vertretbar ist, möchte ich nicht auf dessen Erfolg hoffen.
Was im Detail (gerade noch) vertretbar ist, ist aber oft eine komplizierte und durchaus persönliche Einzelfallentscheidung. Deshalb möchte ich an dieser Stelle kein festes Regelwerk definieren.
Steuern
Generell versuche ich mich möglichst wenig von steuerlichen Überlegungen leiten zu lassen. Trotzdem spielt das Thema leider immer wieder eine Rolle. Mit einer Kapitalertragsteuer von 25 % + X hat die Steuer einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg der Geldanlage (oft weit mehr als die Gebühren). Meine Anlageentscheidungen sind in zwei Bereichen davon betroffen:
- Zunächst versuche ich, den Sparerpauschbetrag jedes Jahr auszunutzen, was sich z. B. mit Hilfe von Dividenden, aber auch durch Teilverkäufe umsetzen lässt.
- Bei ausländischen Aktien bevorzuge ich solche, deren Erträge entweder gar nicht im Ausland versteuert werden oder bei denen die Rückerstattung zumindest sehr einfach ist.